Ich bin Swetlana, mittlerweile 32 Jahre alt und ich habe vor nunmehr 16 Jahren (st.“24) die Landesschule für Blinde und Sehbehinderte Förderzentrum Chemnitz verlassen. Seither ist so viel passiert, das vielleicht berichtenswert wäre, aber den Rahmen vermutlich sprengen würde. Daher folgt nun in aller Kürze, der ein oder andere Gedanke zu meiner Zeit in Chemnitz und ein, zwei Highlights aus meinem Leben bisher. Viel Vergnügen beim Lesen.
Zunächst einmal ein paar Fakten zu meinem Werdegang:
Nach dem Abitur, welches ich in Königs Wusterhausen absolviert habe, begann ich ein Psychologiestudium an der Philipps Universität Marburg. Die Uni selbst gefiel mir besser als der Studiengang, sodass ich zwar in Marburg blieb, aber den Studiengang wechselte. Meinen Bachelor habe ich in “Sprache und Kommunikation” abgeschlossen und schlussendlich 2019 die Universität mit einem Master in “Deutsch als Fremdsprache” verlassen. Derzeit bin ich als Fallmanagerin im Jobcenter in Frankfurt tätig, wo ich auch Mitarbeiter*innen zum Thema Beratung schule und ehrenamtlich im Bereich der Schwerbehindertenvertretung arbeite.
Ich denke sehr gerne an meine Schulzeit in Chemnitz zurück, weil es für mich wirklich eine prägende und gerade retrospektiv, eine Zeit gewesen ist, in der ich viel darüber gelernt habe, wie und vor allem auch, wer ich sein möchte. Das dürfte allerdings wenig verwunderlich sein, denn das trifft wohl den Kern der Entwicklung eines jeden in dieser Altersgruppe. Jedoch ist eine Kindheit mit einer Behinderung vielleicht nicht automatisch gleichzusetzen mit der Kindheit eines jeden, zumindest nicht im ersten Moment, wenn man sich die Bedeutung der Phrase ’normale Kindheit‘ einmal genauer anschaut. Das familiäre Umfeld beispielsweise – und ich kann an dieser Stelle natürlich nicht pauschalisieren, sondern meine explizit mein Umfeld – lebt in ständiger Sorge. Fragen wie: „Schafft mein Kind das?“, „Wie soll es seine Zukunft bestreiten?“, oder „Was können wir tun, um unsere Kinder bestmöglich zu fördern?“ etc. sind allgegenwärtig. Dauernd muss man sich erklären, oder kann nicht immer alles so schnell, oder so gut wie andere Kinder ohne Sinneseinschränkungen tun.
In Punkto Förderung haben meine Eltern vermutlich viele gute Entscheidungen getroffen, die dafür gesorgt haben, dass ich einfach Kind sein konnte, was ich sehr schätze. Insbesondere dann, als sie entschieden haben, dass ich mit Beginn der 2. Klasse von einer Regelschule auf die Landesschule in Chemnitz wechseln sollte. Hier unterrichteten (und tun es vermutlich noch immer), wirklich tolle Lehrer*innen, die mir viel beigebracht haben und die wegen ihrer Sensibilität für die besonderen Herausforderungen und Bedürfnisse ihrer Schüler*innen nicht überfordert waren, sondern den Unterricht so aufbereitet haben, dass jeder die Chance hatte diesem zu folgen. Danke(!) an dieser Stelle für all das Engagement und die tolle Arbeit, die, wenn ich so zurückdenke wahrscheinlich nicht immer einfach gewesen ist ;).
Ich bin davon überzeugt, dass ich in einer anderen Schule, genau genommen einer Regelschule nicht den Sprung zum Abitur und schlussendlich auf die Uni geschafft hätte. Da die Rahmenbedingungen beispielsweise mit sehr großen Klassenverbänden einfach nicht gut abgestimmt gewesen wären auf meine Bedürfnisse.
Aber besonders herausstellen möchte ich das folgende: Wenn ich in meiner Zeit als Schülerin der Landesschule für Blinde und Sehbehinderte etwas gelernt habe, dann ist es, neben dem erwartbaren natürlich, dass ich ganz „normal“ bin, wie ich bin und mir die Welt offen steht, so wie jedem anderen auch. Eine Seheinschränkung zu haben, ist an dieser Schule kein Alleinstellungsmerkmal, das man immer wieder in den Fokus nehmen muss im Umgang miteinander. Alle sitzen im selben Boot und haben ähnliche Schwierigkeiten, die aber, wie zuvor erwähnt im Unterricht und auch nach der Schule so gut es eben geht abgefangen worden sind. So, dass ich mich als Schülerin auf meine Interessen und Stärken konzentrieren konnte, ohne immer an meine vermeintlich größte Schwäche denken zu müssen.
Bei mir war es unter anderem Sport und etwas präziser, Goalball – was auch eine Sache ist, die ich ohne diese Schule vielleicht nie kennengelernt hätte und, die so eine wichtige Rolle in meinem Leben gespielt hat, für eine sehr lange Zeit.
Womit ich bei Highlight Nr. 1 angekommen wäre. Mit der Jugend- sowie später der Damennationalmannschaft durfte ich so viele tolle nationale und internationale Turniere spielen und einmal sogar bei den paralympischen Spielen teilnehmen. Das waren in dieser Zeit insgesamt viele Flugmeilen um die ganze Welt und noch mehr unvergessliche Augenblicke.
Irgendwann auf diesem Weg meiner schulischen Ausbildung habe ich verstanden, dass nicht meine Augen bestimmen was ich tun kann, sondern ganz alleine ich und, dass es Hilfe gibt, sollte es vermeintlich doch einmal anders sein. Ich habe also während meines Studiums beschlossen ein Jahr in Valencia (Spanien) zu studieren und keinen Gedanken daran vergeudet, ob das schwierig werden könnte, wegen meiner Augen und dann auch noch ganz alleine in einer großen, fremden Stadt. Wenn ich dort verloren war, dann eher wegen meines nicht vorhandenen Orientierungssinnes. Das war aus so vielen Gründen, eine so tolle Erfahrung, die näher auszuführen allerdings wohl auch den Rahmen sprengen würde.
Heute reise ich immer noch sehr gerne. Am liebsten zu Fuß und mit einem riesigen Rucksack als Gepäck und am besten an jeden noch so entlegenen Winkel der Welt (die to-do Liste ist lang).
Es gibt wirklich viel zu erzählen, aber stattdessen schließe ich an dieser Stelle diesen kleinen Blick in die Vergangenheit und sage noch einmal explizit danke für all das was ich an dieser Schule lernen durfte. Danke an alle Lehrer*innen und Erzieher*innen für Ihre tolle Arbeit. Ich hoffe, dass es noch vielen anderen Schüler*innen so ergangen ist und lange Zeit ergehen wird.
Wenn Du Fragen hast oder mehr wissen möchtest, erreichst Du mich unter otto_swetlana@web.de.